Rebellion ist in Mode: Ersatz Couture und Avant
Marco Wilms war 1981 gerade 15 Jahre alt, als die DDR-Polizei ihn als „potenziellen Staatsfeind“ identifizierte und von der Schule warf. Ohne Diplom war ein Kunststudium keine Option mehr. Ihm wurde ein Job in einer Angelhakenfabrik zugewiesen, wo er drei Jahre lang jeden Morgen um 6 Uhr aufstand und davon träumte, dem sozialistischen Experiment zu entkommen, in das er hineingeboren worden war. Jahrzehnte später fand er diesen Ausweg als Modemodell und später als Dokumentarfilmer, der die einzigartige Underground-Modeszene Ostdeutschlands aufzeichnete.
Ostdeutschland, auch bekannt als Deutsche Demokratische Republik (DDR), war ein sozialistischer „Arbeiterstaat“, in dem Fabriken und Lebensmittelvorräte „dem Volk“ gehörten, aber streng von Insidern der Kommunistischen Partei kontrolliert wurden. Die Bedingungen waren so schlimm, dass 4,5 Millionen Menschen nach Westen flohen, obwohl Flucht illegal war und mit der Todesstrafe geahndet wurde. Schließlich wurde eine Mauer errichtet, um die Ostdeutschen fernzuhalten – die Berliner Mauer. Inmitten von Hunger und ständigem Mangel taten die Menschen Außergewöhnliches, um zu überleben, und schufen weiterhin Kunst. Die raue, rebellische Schönheit illegaler Mode befeuerte das Bedürfnis der Ostdeutschen nach Kreativität und Individualität unter einer Regierung, die jeden Aspekt des Lebens kontrollierte.
Kleidung – um nicht zu sagen Mode – wurde in Ostdeutschland von der Regierung hergestellt und war für alle Bürger der DDR verfügbar. Der Staat besaß Bekleidungsfabriken und beschäftigte Designer. Das Deutsche Modeinstitut diktierte die verfügbare Kleidung und organisierte Modenschauen, „die eine Kleidungskultur fördern, die mit unserem nationalen Kulturerbe verbunden ist“.
Die Regierung gab auch ein Modemagazin namens Sibylle heraus, dessen begehrte Exemplare von Freund zu Freund weitergegeben wurden, bis sie auseinanderfielen. Doch die Kleidung aus dem Magazin und den Modeschauen gab es in Ostdeutschland nicht zu kaufen. Sibylle präsentierte stattdessen Muster, mit denen man die Kleidungsstücke selbst nähen konnte – vorausgesetzt, man konnte den Stoff finden. Marco Wilms war eines der Topmodels der DDR, ein lebendiger, jugendlicher Körper vor dem Hintergrund einer verfallenden, ergrauenden DDR.
Staatlich hergestellte Kleidung war in staatlichen Geschäften erhältlich, aber sie war schlecht verarbeitet, farblos, schlecht sitzend und ausschließlich aus Synthetik. Einige Jahre lang bestand alles aus „Vliesett“, einem Polyestervlies, das sich wie eine Papiertischdecke anfühlte und nach ein paar Wäschen auseinanderfiel.
Ostdeutsche Arbeiter stellten in ostdeutschen Fabriken hochwertige Stoffe und modische Konfektionskleidung her, allerdings ausschließlich für den Export. Durch den Einsatz von Niedriglohn-, Zwangs- und Häftlingsarbeitern und den Verkauf an den Westen brachte die ostdeutsche Regierung Geld ein, um die Regierung am Laufen zu halten.
Von den Kommunisten anerkannte, staatliche „Exquisit-Läden“ boten teure, etwas modischere Waren für diejenigen an, die sie sich leisten konnten. Eine einzige Hose oder Bluse würde einen durchschnittlichen Arbeiter einen Monatslohn kosten. Die Elite und besonders Modebewusste konnten eine Näherin oder einen Schneider engagieren, um Kleidung nach Maß anfertigen zu lassen, aber diese Optionen waren für die meisten Bürger unerreichbar.
Ersatz ist ein deutsches Wort für einen minderwertigen Ersatz, eine gefälschte Version von etwas. Im 19. Jahrhundert geprägt, erlebte seine Verwendung in den 1940er und 1950er Jahren eine explosionsartige Verbreitung, als die wirtschaftliche Lage in Ostdeutschland immer schlimmer wurde und die Menschen immer erfinderischer werden mussten, um das zu bekommen, was sie wollten. Ostdeutschland zeichnete sich vor allem durch chronische Engpässe aus: Alle Arten von Produkten waren rationiert. Wartelisten für Luxusgüter wie Autos könnten Jahre lang sein, und selbst Grundnahrungsmittel des täglichen Bedarfs wie Brot und Toilettenpapier erforderten stundenlanges Anstehen.
DDR-Jugendliche, die keine modische Kleidung bekommen konnten, kauften Bettlaken, färbten sie und nähten sie dann zu Hause. Aus Möbelpolstern fertigten sie Jacken und Röcke und fütterten sie mit Spüllappen. Jedes Haus hatte eine Nähmaschine, aber Stoff, Garn und Knöpfe waren kostbar. Die Verwendung von Mode zur Selbstdarstellung wurde von der Staatspolizei als verdächtig eingestuft. Junge Menschen bestickten und häkelten und dekonstruierten alte Kleidung sorgfältig, bevor sie sie in etwas Neues verwandelten. Aber dieser Selbstausdruck wurde von der Modepolizei im wahrsten Sinne des Wortes streng kontrolliert.
Jeans waren ein Symbol der Rebellion. Besonders begehrt waren die blauen Five-Pocket-Jeans von Levi's. Junge Leute schmuggelten sie aus dem Westen oder kauften sie gegen Bargeld von Touristen. Jeans waren Artefakte einer freieren Welt. Die Polizei zielte auf „Nietenhosen“ als Symbol für Kriminalität und Dekadenz.
Am Rande der florierenden DIY-Bekleidungs-Community entstand eine rebellische, avantgardistische Gegenkultur. Der Couture-Underground nutzte alles, was er in die Finger bekam, und brachte „Mach es zum Laufen“ auf die nächste Stufe. Sie nutzten Duschvorhänge, Organaufbewahrungsbeutel aus Krankenhäusern und die Plastikplanen, mit denen Bauern ihre Ernten abdeckten. Aus diesem industriellen Krimskrams kreierten die Designer figurbetonte, punkige, übertriebene Outfits.
Modenschauen waren geheime Veranstaltungen, die nur auf Einladung stattfanden und Originalmusik sowie ausgefallene Kleidung boten. Die Verwendung von Mode zur Selbstdarstellung wurde von der Staatspolizei als verdächtig eingestuft. Wenn Sie rosa oder grüne Strähnen in Ihrem Haar bemerken (erreicht durch eine Fußpilzcreme, die in staatlichen Apotheken erhältlich ist), könnte Sie ins Gefängnis kommen.
Als Marco Wilms in den 1980er Jahren auf den Plan trat, begann die Geheimpolizei die Kontrolle über die Modekonformität in Ostberlin zu verlieren. Er war eines der Topmodels der DDR und betrachtete seine Teilnahme als einen Akt der Selbstdarstellung. Er sagte dem Time Magazine im Jahr 2009:
...Im wahrsten Sinne des Wortes war alles begrenzt. Jede Form von Individualität oder spontaner Handlung wurde verteufelt ... Der Druck der Standardisierung, der die Menschen zur Gleichschaltung zwang – wir waren total gegen all diese sozialistischen Krankheiten, wir wollten einfach nur wir selbst sein.“
Für einen ostdeutschen Staat, der entschlossen war, die Jugend in die geordnete, uniformierte Zukunft des Sozialismus zu integrieren, war die individuelle Selbstdarstellung eine Bedrohung für die nationale Sicherheit. Aber selbst angesichts der anhaltenden Knappheit und der totalitären Geheimpolizei war der Hunger junger Menschen nach Selbstdarstellung und Freiheit unbändig. Bei Underground-Modenschauen und über ihre Nähmaschinen gebeugt nähten sie Subversion in jede Naht. Durch Kleidung suchten die in der DDR gefangenen Fashionistas einen Ausweg aus der Individualität, eine Rebellion gegen die vom Staat erzwungene Gleichheit und Konformität.
Dr. Laura Williams unterrichtet Studenten und Führungskräfte in Kommunikationsstrategien. Sie ist eine leidenschaftliche Verfechterin des kritischen Denkens, der individuellen Freiheiten und des Oxford Comma.
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